Köln 07.–10.11.2024 #artcologne2024

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„Black Lives Matter ist für uns gelebte Realität“

Positionen der zeitgenössischen Kunst aus Afrika und der globalen Diaspora müssen im Kunstbetrieb sichtbarer werden. Dafür engagiert sich Contemporary And (C&), eine nichtkommerzielle Online-Plattform aus Berlin. Wie die Diversität der Stimmen hier zum Konzept gehört, darüber sprachen wir mit C&-Mitbegründerin Yvette Mutumba, die auch Curator-at-large am Stedelijk Museum in Amsterdam ist.

Yvette Mutumba im Berliner Büro von Contemporary&. Foto: Dennis Wagner

Frau Mutumba, mit welcher Intention sind Sie vor zehn Jahren gestartet?

Yvette Mutumba: "Wir wollten eine Plattform schaffen, die das ganze diverse Kunstschaffen in Afrika und der globalen Diaspora zusammenbringt und reflektiert. Mit dem Begriff Diaspora sind zum einen Menschen gemeint, die vielleicht in erster oder zweiter Generation mit Menschen afrikanischer Herkunft verwandt sind oder auch die Diaspora aus einem historischen Blinkwinkel – also die schwarze Bevölkerung in der Karibik, den USA oder in Brasilien. Unsere Idee war, all diese verschiedenen lokalen Stimmen zusammenzubringen. Dabei war uns wichtig, dass es nicht nur eine Plattform ist, die einem europäischen Publikum zeigt, was in Afrika passiert. Sondern es ging uns auch um eine Vernetzung auf dem Kontinent selbst: Wir wollen einen Raum schaffen, in dem eine Verbindung innerhalb der Diaspora von Kunst- und Kulturschaffenden wirklich stattfinden kann. Und dieses Netzwerk ist über die Jahre immer größer geworden. Wir machen heute nicht nur ein Kunstmagazin, sondern auch Bildungsprogramme wie beispielsweise Schreibworkshops in Nairobi oder Rio de Janeiro."

Wie hat sich in den letzten zehn Jahren der Blick aus Europa und den USA auf die zeitgenössische Kunst aus Afrika verändert?

Yvette Mutumba: "Es gibt sicherlich ein stärkeres Bewusstsein dafür, was auch mit dem Phänomen der zunehmenden Biennalen und den Stipendienprogrammen zu tun hat. Und auch innerhalb der Institutionen gehört es mehr und mehr zum Selbstverständnis, dass sie sich globaler öffnen müssen und dass sie sich auch mit Themen wie Dekolonisierung oder den Neuaufstellungen von Sammlungen beschäftigen müssen. Gleichzeitig habe ich aber das Gefühl, dass solche Bestrebungen auch immer ein bisschen in Wellen kommen. Dass die Beschäftigung mit diesen Themen leider noch keine wirkliche Selbstverständlichkeit hat, sondern als Zeitgeist, Momentaufnahme oder Trend gesehen wird. Nach dem Motto: „Wir im Museum müssen uns mal eben mit Black Lives Matter beschäftigen, weil man das gerade so macht.“ Aber für viele hunderte Millionen von Menschen ist Black Lives Matter eben kein Trendthema, sondern einfach die gelebte Realität."

Was wäre für Sie der wichtigste erste Schritt für eine Dekolonisierung der Museen?

Yvette Mutumba: "Ich sehe diesen Schritt ganz klar im Strukturellen: Wir müssen in die Strukturen der Museen hineingehen, um zu verstehen, wie diese gewachsen sind, was die Ursachen dafür sind und wie man diese Strukturen ändern kann. Dieser Auseinandersetzung in den Museen einen Raum zu geben, ist aber nur ein Aspekt. Gleichzeitig gehört dazu auch, wirklich Macht abzugeben. Also nicht allein zu fragen: Wer leitet diese Institutionen? Sondern auch: Wie werden Mittel vergeben? Wer wird als Experte oder Expertin geholt? Wie wird die nächste Stelle besetzt? Wer entscheidet, dass diese Stelle besetzt wird? Wer sitzt in den Boards von Museen, wer sitzt in den Auswahlkommissionen? All das sind Machtpunkte, und die sind wiederum ein wichtiger Teil von diesem sehr komplexen Prozess, den man als Dekolonisierung bezeichnen kann. Zu diesem Prozess kann auch ein produktives Gefühl des Unangenehmen oder Ungemütlichen gehören, dem Mann oder Frau sich stellen muss: Dass jemand in einer Machtposition bleibt, wenn er oder sie die Entscheidung trifft."

Yvette Mutumba mit einer der jüngsten Publikationen von C&.

Yvette Mutumba mit einer der jüngsten Publikationen von C&. Foto: Dennis Wagner

Inwiefern sorgt auch der Kunstmarkt für mehr Gerechtigkeit und Sichtbarkeit in der Kunstwelt? Die Preise für einen Maler wie Amoako Boafo aus Ghana zum Beispiel bewegen sich ja durchaus auf einem Niveau mit den Preisen westlicher Künstlerinnen und Künstler.

Yvette Mutumba: "Auf der von Ihnen beschriebenen Ebene kann der Markt sicherlich dazu beitragen. Man muss allerdings auch sagen, dass die hohen Preise meist nur einzelne Künstlerinnen und Künstler betreffen. Menschen wie beispielsweise Lynette Yiadom-Boakye oder El Anatsui – große Namen, die hier marktbestimmend sind. Sie sind sicherlich wichtig für eine allgemeinere Wahrnehmung. Was aber oft unterschätzt oder vergessen wird, ist, dass der Markt nicht nur in Europa und den USA liegt. Wir haben einen enorm wichtig werdenden Markt auf dem Kontinent Afrika, dessen Kraft immer größer wird. Es gibt dort Messen wie die Art x Lagos oder die Investec Cape Town Art Fair, wo eben auch lokale Sammler:innen sind, die durchaus Geld haben und damit auch das Gewicht, einen Unterschied zu machen. Diese Sammlerschaft ist natürlich zunehmend auch auf Messen in Europa oder den USA präsent. Und die westlichen Messen sollten dies nicht unterschätzen."