Die Hörbarkeit der Kunst
Frau Thomann, womit wird sich die Sonderschau der Sammlung LBBW auf der ART COLOGNE in diesem Jahr beschäftigen?
Ob Knall, Flüstern oder Melodie – Klänge begleiten uns überall. Sie lassen uns aufhorchen oder in etwas eintauchen. Sie können Gefühle und Erinnerungen speichern oder Handlungen mit einem einzigartigen Sound unterlegen. Dazu müssen sie nicht einmal hörbar sein: Manchmal genügt eine Geste, ein Gegenstand oder ein Bild, um Klangassoziationen zu wecken und eine innere Resonanz auszulösen. Die Kunst bietet dafür unzählige Beispiele und genau hier setzt die diesjährige Sonderschau an: Die eigens für die 58. Ausgabe der ART COLOGNE konzipierte Ausstellung „Klangwelten“ bringt Arbeiten aus der Sammlung LBBW zusammen, die auf ganz unterschiedliche Weise mit Klängen, Geräuschen oder der Musikkultur verbunden sind – mal unmittelbar, mal versteckt, mal rein assoziativ.
Wie viele Arbeiten aus den über 3000 Werken im Besitz der Landesbank Baden-Württemberg haben Sie ausgewählt und nach welchen Fragestellungen?
Es werden rund 30 Werke aus der Sammlung LBBW zu sehen sein. Unter der Fragestellung „Ist Kunst hörbar und Klang sichtbar?“ präsentiert die Auswahl Werke aus dem Sammlungsbestand, die dies auf unterschiedlichste Weise beantworten. Ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl ist für mich auch die mediale Bandbreite der Kunstwerke: diese reicht von Zeichnungen und Malerei über Videoarbeiten bis hin zu dreidimensionalen Werken. Alle präsentierten Arbeiten lassen die Sammlung auf neue Weise klingen: Sie eröffnen Einblicke in die vielfältigen Schwerpunkte der Sammlung LBBW und zeigen wie sich über mehr als 50 Jahre hinweg ein lebendiger, vielstimmiger Bestand entwickelt hat.
Die Kuratorin Barbara Thomann von der Sammlung LBBW Foto: Franziska Kaufmann
Welchen zeitlichen Bogen spannt die Schau?
Der Bogen spannt sich von der Malerei der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts bis zur zeitgenössischen Kunst. Mit dabei sind Arbeiten von Ernst Wilhelm Nay und Max Ackermann. Hier öffnet Musik Wege zur Abstraktion. Gregor Hildebrandt verwandelt den Tonträger in Bildträger, Elizabeth Peyton zeichnet die Hand von Kurt Cobain. Stephan Huber formt Instrumente zu Skulpturen, bei Martin Kippenberger verschränkt sich das Musikerleben mit der bildenden Kunst. Olafur Eliasson lässt Wasserfälle rauschen, während Annika Kahrs in ihren Video- und Sound-Installationen den sozialen und kulturellen Dimensionen der Musik nachspürt. Das Flüstern des Einschlafrituals mit ihrem Sohn findet in Anna Virnichs Werk einen leisen Widerhall. Unabhängig von Epoche und Medium verbindet alle Werke, dass sie einen Resonanzraum schaffen, der die Beziehung zwischen Betrachtendem und Kunstwerk zu einer wechselseitigen Erfahrung werden lässt.
Von wem sind die jüngsten und ältesten Werke?
Das älteste Werk der Sammlungspräsentation ist das Gemälde „Hymne an einen unbekannten Gott“ von Max Ackermann von 1930. Max Ackermann hat in seiner Malerei versucht Rhythmus und Melodie in Farben und Form zu übersetzen – er komponierte seine Bilder gewissermaßen wie Musikstücke. In seinen sogenannten „Klangzeichen“ gelang es ihm eine hymnische und heitere Stimmung zu evozieren. Viele seiner Werke tragen Titel wie z.B. „An die Freude“ oder „Hymne“. Das jüngste Werk, das wir in diesem Jahr zeigen werden, ist das Wandobjekt „I can be what you need“ der Künstlerin Rebekka Benzenberg aus dem Jahr 2023. Sie beschäftigt sich mit dem Wertewandel und dem Lebensgefühl einer jungen Generation, die zwischen Zukunftsangst und Identitätssuche steht. Prestigematerialien wie Pelz, Leder oder Ketten – Symbole für Macht und Status – werden in ihren Arbeiten verfremdet und neu bewertet, wodurch Prozesse von Aneignung und Zugehörigkeit sichtbar werden. Dabei greift Benzenberg immer wieder auf Zitate aus der Popkultur zurück, so auch in der Arbeit die im Rahmen der Sonderschau „Klangwelten“ zu sehen sein wird: „In can be what you need – I can live in your dreams” ist eine Zeile aus dem Lied Kerosene! von Yves Tumor. Darin besingt der experimentelle US-amerikanische Musiker seine Wandlungsfähigkeit, die in der Traumwelt möglich ist.
Die Papierarbeit „Kurt's Hand“ von Elizabeth Peyton aus dem Jahr 1995 Foto: Sammlung LBBW
Welche Arbeiten sind besonders interessant?
Es sind natürlich alle Arbeiten sehr interessant - es werden aber in diesem Jahr einige spannende Neuzugänge der Sammlung LBBW zu sehen sein. Sie zeigen, wie enorm vielfältig unsere Sammlung ist. So können sich die Messebesucher auf die Videoarbeit „Le Chant de Maison“ (2022) von Annika Kahrs freuen. Die Künstlerin widmet sich in diesem Werk der Schnittstelle von Kunst und Musik und beleuchtet in der gezeigten Performance zugleich die sozialen und kulturellen Dimensionen akustischer Informationen. Im Zentrum steht eine verlassene Kirche der Webergilde – ein Ort, der sinnbildlich für das Spannungsfeld zwischen traditionellem Handwerk und moderner Technologie steht.
Zusätzlich wird von Annika Kahrs auch die Arbeit „warp and weft, pipe and pitch“ zu sehen sein. In dieser Arbeit überträgt Annika Kahrs Elemente ihres performativen und filmischen Werks in eine skulpturale, physische Ebene: In einem aufwändigen Produktionsprozess überlagert die Künstlerin zwei Zufallsfunde aus Lyon zwischen mundgeblasenem Echtantikglas: Jacquard-Webstuhl Lochkarten der Seidenweberproduktion mit den Original-Lochkarten für die Orgel der Kirche St. Bernard.
Ein weiterer Neuzugang ist die Arbeit „Moylan Kasten“ von Gregor Hildebrandt. Gregor Hildebrandt verarbeitet analoge Datenträger – Vinyl, Ton und Videobänder, Kassettenschachteln– zu bildhaften Tableaus oder raumhohen Stelen, denen durch die musikalische oder filmische Vorgeschichte der Materialien eine weitere, unsichtbare Dimension hinzugefügt wird. Aus veralteten Technologien entstehen faszinierende Werke, die sich mit Zeit und Material, individuellem und kollektivem Gedächtnis, Kultur und ihrem Verschwinden beschäftigen. Der Titel des Werkes aus der Sammlung LBBW bezieht sich auf die amerikanische Filmschauspielerin, Model und Schönheitskönigin Catherine Moylan.
Autorin: Alexandra Wach