Köln 07.–10.11.2024 #artcologne2024

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Ein Zimmergarten für sich allein

Das Museum Ludwig in Köln spürt der Faszination für Zimmerpflanzen in Kunst und Gesellschaft nach und setzt ein Zeichen in Sachen Nachhaltigkeit

Fotograf*in unbekannt, Tropischer Ballsaal, Köln, 1928 | Credit: Museum Ludwig/Sammlung Brokmeier, Köln

Fotograf*in unbekannt, Tropischer Ballsaal, Köln, 1928 | Credit: Museum Ludwig/Sammlung Brokmeier, Köln

Sind Pflanzen mit dem Menschen verwandt?

Credit: Museum Ludwig, Köln/Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv Köln/Britta Schlier/VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Credit: Museum Ludwig, Köln/Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv Köln/Britta Schlier/VG Bild-Kunst, Bonn 2022

In den 1920er und 1930er Jahren trieb diese Frage nicht nur die Wissenschaft um. Die Comedian Harmonists erglühten in tiefster Freundschaft zu einem Kaktus, ein Gewächs, das im argentinischen Patagonien oder dem mexikanischen Yucatan für den deutschen Markt gezüchtet wurde. Otto Dix malte seine Frau Martha in floral verzierten Kleidern, in den Händen eine rot erblühte Pflanze, während Hans Arp seiner Skulptur „Knospenkranz“ weibliche Konturen verlieh. Karl Schmidt-Rottluff hielt den Menschen offenbar für überbewertet und porträtierte lieber einen „Rittersporn am Fenster“ solo.

Die neue Architektur des Bauhauses präferierte ohnehin lichtdurchflutete Fenster, die das Phänomen „Zimmergarten“ auf den Weg brachten. Das Exotische hielt so Einzug ins Private und immer noch waren es die Frauen, trotz aller Bekenntnisse zur Emanzipation, die sich um die Pflanzen kümmerten. Unzählige Fotos zeigen sie mit Bubikopf posieren, in zärtlicher Umarmung mit einem Blumentopf.

Aufbruch in eine neue Zeit

Auch in Interieur-Zeitschriften gesellten sich Stahlrohrmöbel zu Kakteen und Gummibäumen – nicht umgekehrt. Und Marlene Dietrich, am liebsten in Hosen und Frack unterwegs, signalisierte mit einer riesigen Nelke in ihrem Knopfloch augenzwinkernd ihre Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht, das sich gerade männlicher Attribute bemächtigte. Das sind nur einige Spielarten einer fluide gewordenen Beziehung in einer technikbegeisterten Epoche, die unbedingt fortschrittlich sein wollte und in der Pflanzenwelt Zuflucht vor dem eigenen Übermut suchte.

Das Blumenwunder, 1926 (Filmstill)

Das Blumenwunder, 1926 (Filmstill) Regie: Max Reichmann | Credit: absolut Medien GmbH, www.absolutmedien.de

In der Ausstellung „Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen“, die bis zum 22.1. 2023 in Köln zu sehen ist, erzählen 130 Exponate fundiert und zugleich kurzweilig von dem Aufbruch in eine neue Zeit. Der Fotograf Karl Blossfeldt etwa suchte keinen grünen Freund, sondern Material für Formstudien von Blättern, Knospen und Stielen, die er durch extreme Vergrößerung erreichte. Großstädter gingen in „tropischen Ballsälen“ tanzen und stürmten die Kinosäle, um im Film „Blumenwunder“ das Lebendigsein ihrer Topfgewächse im damals beliebten Zeitraffer zu studieren.

Heinrich Hoerle, Topfpflanze, 1920er Jahre | Credit: Museum Ludwig, Köln/Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv Köln

Heinrich Hoerle, Topfpflanze, 1920er Jahre | Credit: Museum Ludwig, Köln/Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv Köln

Und siehe da, das Wunderkind taugte danach sogar in Horrorfilmen wie Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ zum fleischfressenden Bio-Monster. Hundert Jahre später dominiert die Klima-Krise den Blick auf die Flora und Fauna. Man baut Obst und Gemüse selbst an und Künstler wie Olafur Eliasson verfassen vegane Kochbücher.

Der Trend macht nicht vor Kuratoren halt, weshalb in der Schau auf Leihgaben und Transporte verzichtet wurde. Den Katalog gibt es nur digital, dafür aber kostenlos. Auch das Museumrestaurant macht mit. Es verwendet für die Speisekarte Kürbisse von der museumseigenen Dachterrasse. Das Pilotprojekt im nachhaltigen Ausstellen verliert kein Detail aus dem Blick und beschwört damit eine Koexistenz, auf die der heutige Mensch so angewiesen ist wie noch nie.

Text: Alexandra Wach