Köln 06.–09.11.2025 #artcologne2025

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Im fließenden Übergang

Die multidisziplinär arbeitende Evelyn Taocheng Wang wird mit dem Wolfgang-Hahn-Preis der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig ausgezeichnet.

Die in Rotterdam lebende Künstlerin Evelyn Taocheng Wang verbindet in ihrem Werk persönliche Erinnerungen mit Themen wie Identität, kulturelle Zugehörigkeit und Authentizität. Foto: Sol Archer © Evelyn Taocheng Wang

Das Schaffen der in Rotterdam lebenden Evelyn Taocheng Wang bewegt sich zwischen Zeichnung, Malerei, Kalligrafie, Performance und Installation. Sie schöpft aus ihren Erfahrungen als eingewanderte Künstlerin, die in China 1981 geboren und in Deutschland ausgebildet worden ist. Nach ihrem Studium traditioneller chinesischer Kunst, klassischer chinesischer Literatur, Grafikdesign und visueller Kommunikation in Nanjing machte Wang ihren Master of Fine Arts an der Städelschule in Frankfurt und besuchte De Ateliers in Amsterdam.

Seit ihrer Teilnahme an der Hauptausstellung im Zentralpavillon der 2024er Biennale in Venedig ist sie einem größeren internationalen Publikum bekannt. Ihr Hauptthema Identität sieht sie als ein sich entwickelndes, vielschichtiges Konzept und verknüpft Aspekte ihres Lebens mit kunsthistorischen Überlegungen, die Fragen nach den Folgen von Migration und Globalisierung in der heutigen Zeit aufwerfen: Wie beeinflusst kulturelle Prägung die Selbst- und Fremdwahrnehmung? Wie konstituieren sich Identität und die Wahrnehmung des Körpers?

Die Edition „Die Mode“ von Evelyn Taocheng Wang

Zum Wolfgang-Hahn-Preis 2025 hat Evelyn Taocheng Wang eine spezielle Edition mit dem Titel „Die Mode“ geschaffen. Foto: : Andong Zheng © Evelyn Taocheng Wang

Emotionen und Poesie

„Für mich, als zeitgenössische Künstlerin, ist der Umgang mit dem Autobiografischen sehr wichtig“, meint sie. „Es ist auch angreifbar, denn die Öffentlichkeit nimmt daran teil und es kann sehr persönlich werden. Ich denke aber Kunst ist immer persönlich.“ Wang verbindet Beobachtungen zu Einwanderung und Zugehörigkeit mit Überlegungen zu anderen Aspekten, die für die Selbstdefinition des Einzelnen entscheidend sind, wie etwa Geschlechter- und Klassendarstellung oder den Sinn für Mode und Stil. Sie nimmt Bezug auf Kunstgeschichte, Spracherwerb und Literatur von Virginia Woolf bis zu Ingeborg Bachmann. In ihren Gemälden verbindet sie gedämpfte Töne, zarte Strichzeichnungen und geschriebene Worte und kreiert Kompositionen, die Erinnerungen mit ihrer Fantasie verweben. Das Ergebnis sind fragmentarische Erzählungen voller Emotionen und Poesie, auf denen Frauen, Bäume und Blumen zu sehen sind.

Zu Wangs Einflüssen gehört an vorderster Stelle die in Kanada geborene amerikanische Künstlerin Agnes Martin. „Ihre Arbeit erinnert mich daran, dass ein Gemälde aus verschiedenen Schichten bestehen und jede davon zum Leuchten bringen kann, was mich wiederum an meine frühe Aquarellmalerei denken lässt“, sagt Wang. „Martins Arbeiten inspirieren mich, meine Ölfarben dünn anzumischen, fast auf eine Art, die mich an Make-up denken lässt und etwas Feminines hat.“ Diese Inspiration zeigt sich in Wangs Verwendung abstrakter Raster als Grundlage für ihre Figurationen, etwa Stillleben aus Pak Choi, Pfirsichen und Mandarinen. Die Objekte balancieren zwischen den Linien und erkunden Form und Raum. „Ich male sie aus dem Gedächtnis, das heißt, ich habe keine Recherchephase, sondern verlasse mich auf einen Eindruck“, sagt Wang über den Entstehungsprozess. Weitere Einflüsse sind Historienmalerei, Expressionismus und Romantik, neben konzeptuellen Fragen, etwa danach, was Kunst überhaupt braucht, um zu existieren.

„Cakes and One of Twelfth of Agnes Martin Imitation - September, 2025“ von Evelyn Taocheng Wang

Die neue Arbeit „Cakes and One of Twelfth of Agnes Martin Imitation - September, 2025“ ist Teil einer Serie von 12 Gemälden. Foto: Andong Zheng © Evelyn Taocheng Wang

Kleidung als Material

Wang hat sich der Verschmelzung von Alltäglichem und Institutionellem sowie High und Low verschrieben. „Als Künstlerin vermische ich Klassisches mit neuen Formen, neuen Worten, neuen Körperkulturen, neuen nationalen Identitäten.“ Mitunter arbeitet sie mit Stoffen und untersucht beispielsweise, wie Kleidung die Persönlichkeit eines Menschen definiert und verändert. Zu ihrem Arbeitsprozess gehört auch der fließende Übergang zwischen digitalen und analogen Ebenen. Für die Installation „Spreading Elegance“ etwa hat sie auf Facebook ihren Freundinnen Kleidungsstücke aus ihrer Kollektion des Labels Agnès B. im Tausch gegen handgeschriebene Briefe angeboten, um sie in Tischvitrinen zu präsentieren und sie neben ihre eigenen Fotos und Zeichnungen der entsprechenden Kleidungsstücke zu stellen. Die Arbeit spiegelt einen fluiden Prozess des Ausleihens, Austauschens und Verwandelns in etwas Neues und lässt Raum für die Idee, dass die Vorstellungen von Eleganz von Mensch zu Mensch und von Kultur zu Kultur variieren. Obwohl Wangs Werk von Widersprüchen geprägt ist – zwischen der Verwendung traditioneller und moderner Techniken, individueller Erzählung und kollektiver Erinnerung sowie der Verschmelzung östlicher und westlicher Bezüge – feiert sie die Möglichkeit einer Realität, die vom freien Fluss der Vorstellungskraft profitiert.

Autorin: Alexandra Wach