Zweifel an der Heimatfront
Seine Kunst hat sich auffällig gewandelt, seit der heute 46-Jährige in den 1990er Jahren in seiner Geburtsstadt Offenburg seine ersten Graffitis sprühte und damit in Konflikt mit der Staatsmacht geriet. Nach dieser „illegalen“ Frühphase legte Stefan Strumbel den Schwerpunkt höchst erfolgreich auf das Thema Heimat und poppige Kuckucksuhren, die er mal mit Schädeln, M16-Sturmgewehren und Granaten verfremdete, mal weniger martialisch mit Gitarren, Tattoo-Motiven und Herzen. Das Thema traf während der schnelllebigen Globalisierung den Nerv der Zeit. Dabei wollte Strumbel gar nicht, dass sich Menschen mit einem seiner schrillen Objekte ein Stück Heimat kaufen konnten. Er wollte im Gegenteil darauf hinweisen, dass Heimat immer auch etwas mit Ausgrenzung zu tun.
Dazu gesellten sich nach und nach in Luftpolsterfolie verpackte Marienskulpturen oder in Aluminium gegossene Leinwände. Die Inspiration kam von Pop und Street Art, aber auch von einem Jeff Koons, JR, Blek le Rat, Banksy oder Damien Hirst. 2010 berichtete die New York Times über Strumbel. Ein Jahr später gestaltete er den Innenraum der katholischen Kirche „Maria, Hilfe der Christen“ im Kehler Ortsteil Goldscheuer neu, die vom Abriss bedroht war und dank seiner Intervention als Ort des Dialogs erhalten wurde. Im Zentrum der Neugestaltung stand eine rund sechs Meter hohe Madonna in Hanauer Tracht mit dem Jesuskind. Sie war auf einer Empore über dem Eingangsbereich installiert und verband regionale Symbolik mit christlicher Ikonografie. Über den Kerzenständern platzierte Strumbel Comic-Sprechblasen und öffnete so den religiösen Raum für zeitgenössische Formen der Kommunikation.

Bronze ist inzwischen Stefan Strumbels bevorzugter Werkstoff – hier seine Skulptur „Hangover“ von 2025 Foto: Leo Suhm
Karl Lagerfeld und Hubert Burda als Käufer
Ähnlich zukunftsweisend verfuhr er bei dem gemeinsamen Projekt mit der Organisation „Jugend gegen AIDS“, als er eine Marienstatue auf einer Facebook-Seite durch „Gefällt Mir“-Angaben live Tränen vergießen ließ. Sie weinte stellvertretend wegen der strengen Kondom-Politik der katholischen Kirche. Irgendwann outeten sich Karl Lagerfeld und Hubert Burda als Käufer seiner Schwarzwälder Pop Art. Seitdem sammelte er spätestens statt Anzeigen wegen Sachbeschädigung offizielle Anfragen. Sei es für die Oper Stuttgart, die ihn mit dem Bühnenbild für die Inszenierung von Puccinis Oper „La Bohème“ durch Andrea Moses beauftragte, oder zum 300-jährigen Bestehen der Stadt Karlsruhe, das die Bestellung einer Bronzeplastik durch das Haus Baden nach sich zog.
Sie war in der Form eines Polsterstuhls gestaltet, der anstatt auf Beinen auf einem Baumstumpf stand und auf dem jeder Platz nehmen konnte. Durch Scannen eines QR-Codes am Denkmal konnten sich Smartphone-Nutzer zudem über Karl Wilhelm und die Stadtgründung informieren. Inzwischen konzentriert sich Strumbel auf Bronze als Werkstoff, gerne in Gestalt von Fuchs, Eichhörnchen und Eule, und wird von der Galerie Ruttkowski;68 mit Standorten in Köln, Düsseldorf, New York, Paris und Bochum vertreten. Für den Eingang zur ART COLOGNE hat er sich für die Skulptur eines Adlers entschieden, der traditionell für Stärke, Autorität und nationale Macht steht.

Berühmt wurde Stefan Strumbel mit seinen artifiziellen Kuckucksuhren wie hier „Fuchs vor zwölf“ von 2024. Foto: Leo Suhm
Ein Adler zeigt Verantwortung
Strumbels Adler verbirgt sein Gesicht mit dem rechten Flügel, als würde er sich schämen und keinerlei Stolz fühlen. Empfindet er Scham über die Geschichte? Trauert er über den Zustand der Gegenwart? Dass er auf einem Zapfen einer alten Kuckucksuhr steht, lässt ihn als Vertreter des für seinen Erzeuger typischen Universums erkennen. Ein Symbol für Tradition und für die Zeit, die vergeht, aber auch für „Wiederholung, Mechanik und das Abspulen von Geschichte, ohne sie wirklich zu reflektieren“, wie Strumbel sagt. Damit stellt er ein Symbol in Frage, „das oft für nationale Überhöhung missbraucht wurde – besonders von rechter Seite.“ Sein Adler ist ein „Bild für Zweifel. Für Erinnerung. Für Verantwortung.“
Autorin: Alexandra Wach